Soulisters

Manuela wollte Klarheit. Sie hatte schon lange das Gefühl, nur noch zu funktionieren. So konnte und durfte ihr Leben nicht weitergehen. Sie war jetzt Anfang vierzig und die Frage: "War das schon alles?" tauchte immer öfter auf. Wer war sie eigentlich? Wo waren ihre Träume und Wünsche geblieben? Warum war sie so unzufrieden? Sie hatte doch alles: Kinder, Karriere, einen Mann, ein Haus.

Ihre beste Freundin Martina hatte dagegen viele Herausforderungen in ihrem Leben: der Mann hatte sie verlassen, als die Kinder noch klein waren. Das Geld reichte bei ihr nie. Sie wohnte in einer kleinen Wohnung und jobbte sich durch ihr Leben. Aber immer, wenn sie sich unterhielten, sagte Martina zu ihr:" Manuela, mein Leben ist wunderschön!"

Wie schaffte sie es, mit so wenig in ihrem Leben so viel Erfüllung zu erfahren? Wie kam es, dass sie trotz der vielen Herausforderungen so zufrieden war mit ihrem Leben? Wenn Martina vom Hier und Jetzt sprach, tat Manuela es oft als esoterischen Hokuspokus ab und belächelte ihre Freundin. Doch in letzter Zeit dachte Manuela immer öfter darüber nach, dass da doch etwas dran sein könnte.

Beim nächsten Freundinnen-Abend wollte sie ihre Unzufriedenheit ansprechen. Viel zu lange hatte sie geschwiegen und so getan, als sei alles in bester Ordnung in ihrem Leben. Wozu eigentlich? Wenn sie noch nicht einmal bei ihren Freundinnen offen und ehrlich sein konnte, wo denn dann? Manuela wollte endlich etwas ändern in ihrem Leben. Was, wusste sie nicht genau. Aber es musste etwas anders werden, damit sie wieder glücklich sein konnte.

Ihre Freundin aus Indien, Deva, die sie alle "Die Göttliche" nannten, weil genau das die Bedeutung ihres Namens in Indien war, strahlte sie an. "Wer den Baum gepflanzt hat, wird ihn wässern!" Deva erklärte sich und den anderen die Welt immer mit einem indischen Zitat. Alle schauten sie etwas irritiert an. "Ganz einfach," lachte Deva. "Du hast die Idee gepflanzt, dich selbst zu finden. Nun wässerst du, indem du dich damit beschäftigst und erst Ruhe gibst, bis du eine Antwort erfährst. Und dann brauch dein Baum noch Sonnenlicht, damit er alles hat, um zu wachsen. Das sind wir, deine Freundinnen, die immer für dich da sind!"

Manuela fiel Deva um den Hals. Sie schaffte es immer wieder, die Welt anhand ihrer indischen Weisheiten so einfach zu erklären, dass sich jeder sofort fragte, warum er sich eigentlich Sorgen und Gedanken machte. Ihre Freundin gehörte daher auch nicht zu den Menschen, die sich wegen irgend etwas den Kopf zerbrachen. Sie war immer gut gelaunt, schien nie Probleme zu haben - und selbst wenn, dann lachte sie diese einfach weg. Und ihre herzliche und gelassene Art beruhigte jeden der Freundinnen sofort.

Brigitte, die eher bodenständige der Frauen, sprach  "Ja, so eine Krise hatte ich auch schon. Du brauchst eine Vision für dein Leben. Was willst du erreicht haben, bevor du stirbst? Was willst du erledigt haben, was erlebt? Wie willst du denn ein erfülltest Leben haben, wenn du nicht weißt, wofür du eigentlich lebst?" Die anderen nickten. Ja, da war was dran.

Tanja nahm sie in den Arm. "Um wirklich glücklich zu sein, brauchst du eine Soulsister! Die für dich da ist, wenn es dir nicht gut geht. Die dir gute Tipps für dich und dein Leben geben kann, dich aber auch so nimmt, selbst wenn du die Tipps nicht annimmst. Die dich liebt, so wie du bist. Die mit dir lacht und weint, dir zuhört. Die dich und dein Leben respektiert. Die mit dir Zeit verbringt." Tanja zwinkerte den Frauen zu: "Du kannst echt froh und dankbar sein, dass du vier Soulsisters hast!"

Es war, wie immer, ein toller Abend. Manuela fühlte sich gleich viel besser. Und als sie am nächsten Tag aufstand, sah ihre Welt nicht mehr so düster aus. Ja, sie wollte das mal probieren: Das Leben im Hier und Jetzt. Achtsam den Moment genießen. Und sie hatte, dank Devas Worten, Vertrauen, dass sich alles schon zu ihren Gunsten entwickeln würde. Sie hatte ja schließlich ihren Baum gepflanzt, wässerte ihn und schenkte ihm regelmäßig Sonnenlicht.

An ihrer Vision würde sie arbeiten. Sie wollte sich wirklich damit beschäftigen, was sie in ihrem Leben noch erleben und erledigen wollte. Manuela war klar, dass sie sich dafür eine Weile mit sich beschäftigen musste. Sie würde sich diese Zeit nehmen. Denn Brigitte hatte Recht: Wie wollte sie ein erfülltes Leben haben, wenn sie nicht wusste, was genau ihr Erfüllung brachte?

Sie nahm sich eine Tasse Kaffee, setzte sich in ihren Wintergarten und schaute zufrieden in  ihren wunderschönen Garten mit den unzähligen Blumen. Gerade jetzt blühte alles und es sah so aus, als würden alle Pflanzen nur für sie ihr Bestes geben.

Ja, sie war dankbar für ihre Soulsisters! Sie lächelte und merkte plötzlich, dass dies eine ihrer Visionen für ihr Leben war: Sie wollte ihre Freundinnen nie verlieren und viel Zeit mit ihnen verbringen. Das war ihr sehr wichtig.

Sie nahm einen Schluck Kaffee und empfand ein seit langem nicht mehr vorhandenes Glücksgefühl. Sie hatte gerade den ersten Schritt zu ihrem sinnerfüllten Leben gemacht.


Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Sokrates

Das Spinnrad